Dienstag

Bitte, bleib Deutscher. Mein Fahrrad tune ich trotzdem.


Manchmal sehe ich klar. Und dann verstehe ich, dass ich irgendetwas falsch verstanden habe. Die grösste Angst der Schweiz ist, dass immer mehr Deutsche Schweizer werden. Nicht dass wir kommen. Sondern was wir werden. Denn wir würden uns an den Abstimmungen beteiligen. Aber wer garantiert dann, dass wir Schweizer genug sind, richtig abzustimmen? Schweizer genug, um die Schweiz so zu lassen wie sie ist? Am Ende würden wir für den Atomausstieg stimmen. Oder für Nigerianische Fleischspiesse zur Fasnacht. Ja, so unberechenbar wären wir Schweizer dann.

Aber ich lasse mich nicht beirren. Als nächstes werde ich mir mein Fahrrad vornehmen. Rigoros alles abschrauben, was nicht niet und nagelfest ist. Warum das wichtig ist? Prestige! Und ist es bei uns in der Heimat immer das Mehr an etwas, scheint es hier das Gegenteil zu sein. Im Bezug auf Fahrräder heisst es, das maximale Minimum zu erreichen. Und während die Weichen in Hamburg auf der Schanze mit Choppern oder Bonanza-Bikes rumgurken, habe ich hier Freunde, die fahren mit Bahnenrennrädern durch die Gegend. Ohne Bremsen. Ohne allem. Nur Rahmen, Pedale, Reifen, Lenker und Sattel. Und wären Einräder nicht so peinlich, würden sie Einrad fahren. Aber in der Schweiz blamiert man sich nicht. Also keine Einräder.

Vorerst lasse ich meine Bremsen aber dran. Mein Vater würde es sonst nicht verstehen. Und mir Geld zustecken – aus Sorge ich könnte mir nicht mehr leisten. So sind wir eben. Wenig bedeutet Mangel. Flüchtlingstraumata. Sitzt tief in deutschen Familien. Nicht umsonst, bekomme ich beim Anblick von gebratenem Fleisch tränende Augen. Hängt meine Oma als Ölbild in der Küche. Bestelle ich mir nie eine schlanke Portion und hasse es, wenn sich jemand von meinem Teller bedient.
Das sitzt so tief, dass also der Eindruck von Armut in mir aufkommt, wenn ich ein nacktes Rad ohne Bremsen sehe. Auch ein Zeichen dafür, dass ich noch nicht ganz Schweizer bin. Ob ich es jemals schaffe, steht irgendwo in den Sternen, hoch über einem blutroten Banner mit dem weissen Kreuz.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Meine Güte, mich macht das betroffen, wie unsere lieben Deutschen rotieren! Weshalb lest Ihr auch den Blick, das tut doch keiner! Jedenfalls kein Schweizer ab einem gewissen IQ. Also. Ansonsten: geht es pragmatisch an. Ihr seid hier Einwanderer, geschätzt, aber genauso geschätzt wie alle andern, die sich an die Regeln halten. Die Schweiz ist nun mal nicht hochdeutschsprachig, wir reden schweizerdeutsch, französisch und italienisch, und das ist gleichwertig, so wie die angrenzenden Länder uns gleich lieb sind. Wir haben es nicht so mit Zucker im und Rahm am Salat, Kuchen und Kaffee, Deutscher Mode und Deutscher Küche, wir trinken eher Espresso als diese Eimer mit Milch. Und Weisswürste aus dem Wasser - igitt, die legen wir als St. Galler Bratwurst auf den Grill, höchstens. Natürlich seid Ihr fleissig, wenn Ihr die 35-Stunden-Woche hier leben könnt. Aber Ihr reklamiert, wenn es mehr ist. Und wenn es zu heiss ist, dann mögt Ihr das auch nicht, geratet sehr ins Schwitzen und schreit nach Klimaanlagen. Wir haben es nicht leicht mit Euch, glaubt mir, Ihr habt, anders als andere Immigranten, etwas ungeheuer Forderndes. Das steht unserem Wesen diametral entgegen und gilt hier als unhöflich. Was für uns eine respektvolle Geste dem andern gegenüber ist, nämlich etwa seine Sprache zu reden und das zu kochen, was ihm wohl schmeckt, ist für Euch Anbiederung. Was dazu führt, dass Ihr die einzigen Ausländer hier seid, die ausschliesslich ihre Muttersprache reden und unsere Sprache als solche negieren. Wir würden lieber nicht zu Hering an süsser Sahnesosse mit Dillkartoffeln eingeladen, was Euch nicht daran hindert. Aus unserer Sicht ist das besserwisserisch, aus Eurer wäre das Gegenteil anbiedernd. Wir laden dann eher nicht retour ein, denn unsere Küche scheint Ihr ja nicht zu mögen. Verschlossene, böse Schweizer, die wir sind. Tragisch. Nun, wir tragen es mit Fassung, und das solltet Ihr auch, so wie wir es auch mit Fassung ertragen, wenn manche mit Kopftuch rumlaufen, andere mit Tupfen auf der Stirne. Respekt vor der andern Kultur ist die Basis der Schweizer Demokratie, und wird auch von Euch erwartet. Wenn Ihr aber nun offenbar darunter leidet, dass man Euch nicht gleich um den Hals gumpt, dann denkt vielleicht darüber nach. Etwas mehr Anbieterung schadet Euch nicht. Ein wenig mehr Eleganz, ein wenig mehr über sich selber lachen können. Bier ist gut, bierernst eher nicht. ;)